19 Mai 2006

Wechselkurs: Was ist los mit dem Real?

Das ist eine Frage, die sich Importeure und Exporteure genauso stellen wie Finanzinvestoren, Banker, Politiker und Industrielle. Und jeder hat eine Antwort parat, nur ob es die richtige ist?

Auf jeden Fall ist es nicht einfach, „normale“ Geschäfte in einem Land zu machen, dessen Wechselkurs großen Veränderungen in kurzen Abständen unterworfen ist, wie man sie in dieser Grafik vom 19.5.2006 (Quelle: Estado de São Paulo) sehen kann.

Nach der Einführung des Real zum Kurs 1 : 1 in Bezug auf den US-Dollar und einigen gewollten und ungewollten Abwertungen erhielt man auf der Höhe der Realschwäche fast vier Real für einen Dollar. Wer damals wie ich an die Kfz-Industrie mit importiertem Rohmaterial lokal hergestellte Autoteile verkaufte, sah alt aus. Wer die Kfz-Industrie kennt, wird das verstehen. Als diese ihre Felle wegschwimmen sah, wurden Preise rückwirkend gesenkt, den Kalkulationen zugrundeliegende Kurse nur teilweise angepaßt und der Lieferant mit manchmal ziemlich groben Methoden gezwungen, einen Teil der Verluste seines Kunden mit zu tragen. Das wird dann, glaube ich, Solidarität genannt. Und die Kfz-Hersteller suchten ihr Heil im Export. Jetzt, wo der Kurs sich dem Verhältnis 1 : 2 genähert hat, bringt der Export nur noch Verlust und die Mitarbeiter müssen solidarisch auf ihren Arbeitsplatz verzichten. Beim größten Kfz-Hersteller Brasiliens sind es einige tausend Mitarbeiter, denen die Entlassung droht. Wie stark das die Menschen betrifft, sah ich vor einigen Tagen bei einem Besuch der Firma Alcan. Mein Gesprächspartner erzählte mir sofort, daß seine Freundin bei VW arbeiten würde und wahrscheinlich entlassen würde.

Aber nicht nur die Kfz-Industrie ist betroffen, andere Leidtragende findet man im Agrobusinessektor, in der Textilindustrie etc., d.h. in allen exportierenden Branchen.

Viele Gründe werden für die Erstarkung des Real aufgeführt. Wobei in Brasilien die Öffentlichkeit nur auf den Dollarkurs schaut (weil nur dieser in den Zeitungen auf der ersten Seite genannt wird und in den Abendnachrichten auch meist nur dieser gezeigt wird) und den Eurokurs vernachlässigt. Wobei es natürlich für deutsche Firmen in Brasilien und deutsche Exporteure äußerst interessant ist, zu shehen, daß der Eurokurs in den letzten Wochen von ca. 2,50 auf 2,80 gestiegen ist, während der Dollar immer noch bei 2,20 herumkrebst. Also muß sicher unterschieden werden zwischen einer allgemeinen Dollarschwäche und einer weniger akzentuierten Euroschwäche.

Aber zurück zu den Gründen. Einer soll der hohe brasilianische Leitzins sein, der aber in den letzten Monaten kontinuierlich gesenkt wurde, seit September 2005 immerhin um 4 Prozentpunkte, ohne daß dies den Höhenflug des Real stoppte. Ein anderer ist die fehlende Intervention der Zentralbank, aber diese kaufte seit Ende 2004 im internen Devisenmarkt ungefähr 45 Mrd. US$, was ebenfalls den Real nicht am Steigen hinderte. Zwar sind diese Gründe stichhaltig, aber sie erklären eben nur einen kleinen Teil des Realhöhenfluges.

Der eigentliche Bösewicht ist laut Delfim Netto der unausgeglichene Haushalt, der über eine enorme interne Verschuldung finanziert wird. Und da hilft es wenig, daß die Regierung die Auslandsverschuldung abgebaut hat. Aber wer hört schon auf einen ehemaligen Minister?

Nun, nicht die augenblickliche Regierung, die vielleicht auch die zukünftige sein wird. Schon wird z.B. vom Ministerpräsident von Rio Grande do Sul ein gespaltener Kurs erwogen, d.h. der Dollar verkaufende Exporteur erhält mehr Reais dafür als der normale Sterbliche. Ein anderer Plan sieht die Beschränkung des Dollarzuflusses vor durch die Genehmigung an Exporteure, Dollarkonten im Ausland einzurichten. Interessant dabei, daß erstens Fremdwährungskonten irgendwo auf der Welt für jeden möglich sein sollten und zweitens, daß in Brasilien nicht von Fremdwährung, sondern von Dollar gesprochen wird. Aber eine Freihandelszone beider Amerikas fürchtet die jetzige sozialistische brasilianische Regierung wie der Teufel das Weihwasser. Aber geschielt wird immer auf den großen „Bruder“ im Norden, nicht nach Europa.

Das merkt man übrigens auch, wenn z.B. wie jetzt bei den verbrecherischen Mafia-Überfällen in São Paulo die ausländische Presse zitiert wird. Zunächst werden immer US-Zeitungen genannt, dann kommen die französischen, die englischen, die italienischen und manchmal die deutschen Zeitungen an die Reihe.

Ein wichtiger Wert muß noch genannt werden, laut einer Studie des Industrieverbandes CNI hat die Aufwertung des Real um 37,1 % in drei Jahren den Exporteuren Verluste von 29 % der Rentabilität beschert.

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